Der letzte Tag in Bayern bricht an! Nach der trockenen Regen(-Fluss-)Fahrt, erleben wir tatsächlich noch eine Regennacht. Mehrmals regnet es in dieser Nacht heftig und das Zelt ist am Morgen tropfnass. Unser Nachbar ist bereits fleissig und schmeisst fortlaufend Nacktschnecken aus seinem Zelt. Wir scheinen aber mit unserem Platz mehr Glück gehabt zu haben, finden wir doch genau eine Schnecke an den (aus genau diesem Grund) vorsichtshalber mit der Sohle nach oben gedrehten Sandalen. Der Rest unseres Materials ist schneckenfrei. So können wir uns bald auf das Frühstück stürzen. Obwohl wir dafür auch schon motivierter waren: Der am Vorabend im Penny-Markt gekaufte, in Plastikfolie eingepackte und bis in alle Ewigkeit haltbare Rosinenzopf ist nicht das, was wir zum Frühstück zaubern würden, wenn zaubern denn möglich wäre. Aber mit kaum bezahlbarem Lindt-Schoggiaufstrich (in Italien hergestellt, in Deutschland gekauft…) veredelt, lässt sich auch das essen.
Als das Zelt tatsächlich etwas trocken ist, starten wir. Zuerst geht es dem Iron Curtain Trail (eigentlich fast witzig, weil genau dieser unser ursprünglicher Plan gewesen wäre) entlang bis zum letzten Supermarkt in Bayern, wo Martin die herrschende Maskenpflicht noch einmal richtig auskosten kann.

Danach ist es nicht mehr weit bis zur tschechischen Grenze, die dieses Mal nicht zu verfehlen ist: So viele Schilder auf so engem Raum muss man erst einmal hinbekommen!

Anschliessend kommt ein fotografisch nicht festhaltbares Highlight unserer Tour: Der Böhmische Wald. Eingangs steht ein Schild „Dieser Wald wird videoüberwacht“, doch wir wagen uns trotzdem hinein. Auf bestem Fahrradweg (zugegeben, wir hatten was tschechische Fahrradwege angeht das eine oder andere Vorurteil…) geht es durch einen traumhaft schönen Wald – und das über mehrere Kilometer, wo wir ausser Wald und Fahrradweg nichts und fast niemandem begegnen. Was für ein Traumstart in Tschechien!

Nach diesem schönen Abschnitt geht es manchmal über Land, manchmal durch Dörfer aber immer entweder bergauf oder -ab, Richtung Pilsen. Schon bald einmal bekommen wir doch noch das eine oder andere Vorurteil, was tschechische Fahrradwege angeht, bestätigt. Für das grösste Abenteuer sorgt aber das fälschlicherweise etwas an Aktualität überschätzte Komoot: Bei einer Abzweigung wo sich Komoot und der (auf dieser Etappe eher spärlich) markierte Fahrradweg nicht einig sind, entscheiden wir uns für Komoot. Zuerst geht es über schöne Strassen und durch kleine Dörfer bis die Strasse immer schmaler wird und dann zu einem überwucherten Feldweg in einen Wald zweigt. Dort ist der Weg kaum mehr sichtbar und das was ihn mal war von einer Barriere versperrt. Weil die Fahrräder inklusive Gepäck und Fahrerin (beim Fahrer wird’s etwas komplizierter) problemlos unter der Barriere durchpassen, stürzen wir uns rein. Mit viel Holpern, Rutschen und wenig Freude am Fahrradfahren (was man durchaus auch anders ausdrücken kann, etwas das wir in verschiedenen Versionen lautstark trainieren) kämpfen wir uns durch den Wald und kommen tatsächlich auf der anderen Seite wieder raus. Ein erstes Mal sind wir über die Spontanaktion FSME-Impfung in letzter Sekunde vor der Abreise froh, weil Monika tatsächlich ein fieses Zeckenbiest findet und noch vor dem entscheidenden Biss „entfernen“ kann (Tschechien gilt als FSME-Hochrisikogebiet).
So kommen wir am Abend erschöpft in Pilsen an und freuen uns über den grandiosen Empfang in Hotel und ein hammermässiges Abendessen (so Sachen wie „Auberginentartar mit Pestotoast“ vom jungen aber – und da sind wir sicher – sehr talentierten Hotelkoch).
Am nächsten Morgen sehen wir die Welt etwas rosiger: Die Leute nicken uns plötzlich freundlich zu, die Landschaft ist schöner, die Fahrradwege nicht mehr holprig, sondern naturnah und anderes mehr. Martin ist überzeugt, dass das alles am Vortag wirklich schlimmer war und nicht etwa nur ein von der Anstrengung beeinflusster Eindruck!


So erreichen wir nach 84 schönen Kilometern die Berounka (ein Fluss), wo der erste tschechische Camping („Autokemp“) auf uns wartet.
Weil unser Anhänger den holprigen Wegen eine Schraube gespendet hat, müssen wir diese ersetzen, damit der Anhänger seine Standfestigkeit behält und nicht auseinanderfällt. Dr Google erzählt uns Unglaubliches: Ein Einkaufsgeschäft gibt’s im Dörfchen (wir haben ähnliche Anhäufungen von Häusern auch schon Kaff genannt) nicht, aber ein „Veloservis“ schon! Martin ruft an, wird aber weder in Englisch noch in Deutsch verstanden (ein Phänomen mit dem wir in Tschechien oft zu kämpfen haben…). Mit Mühe und Not erfährt er, dass „Shop open“ und „10 minutes ok“ ist. So fährt er hin und findet an einer Wohnhauswand ein Schild, das auf den „Veloservis“ hinweist. Nach zweimaligem Klingeln öffnet sich die Tür und Thomas und sein (der Sprache wegen) dazu gerufener Sohn Adam erscheinen. Martin dreht den Anhänger um und zeigt auf die fehlende Schraube: „Problem here!“. Thomas scheint erleichtert und geht nach drinnen. Kurz darauf kommt er mit einer passenden Schraube zurück und flickt den Anhänger mit grosser Sorgfalt. Geld will er dafür keines. Ein Selfie mit Thomas später fährt Martin glücklich von Dannen.

Beim Abendessen im Campingrestaurant treffen wir auf einen Deutschen Fahrradfahrer. Wir kommen immer wieder auf das Thema Corona zu sprechen, bis wir merken, dass sich unsere Haltungen zu Maskenpflicht und Vorsichtsmassnahmen so stark unterscheiden (er habe da so einen Professor im Internet gesehen, der gesagt habe Covid-19 sei nicht gefährlich und es sei wichtig, dass man neben den Zeitungen und den Politikern auch auf solche Leute höre), dass wir uns in unser Zelt zurückziehen.
Nach einer etwas unruhigen Nacht („Autokemp“ wird ziemlich wörtlich genommen: neben jedem Zelt steht (auf der Wiese) mindestens ein Auto, das auch für die Fahrt zu Toiletten- und Duschhaus verwendet wird), nehmen wir die kurze Etappe mit dem Ziel „Altstadt Prag“ unter die Räder. Kurz nach dem Mittag sind wir da und geniessen die wunderschöne Stadt Prag. Es erzählen uns alle, Prag sei noch nie so schön gewesen, weil man der wenigen Leute wegen viel Platz habe. Tatsächlich erhalten wir im nicht für Kinder geeigneten Museum, beim Abendessen und auf der ganztägigen „Zu-Fusstour“ mit der ungefähr 75-jährigen Helena, die uns spannende Fakten aber auch eigene Erlebnisse aus der Zeit vor und nach „der Wende“ mitgibt, einen wirklich tollen Eindruck dieser Stadt. Ein echtes Highlight!



