Nach der eindrücklichen Etappe gestern und dem herzlichen Empfang im Stavanger Bed and Breakfast wollen wir es heute ein wenig ruhiger angehen und die Stadt, die uns sofort gefällt, etwas näher unter die Lupe nehmen.
Dafür laden wir uns einen virtuellen Reiseführer runter und gehen ausgerüstet mit Ohrstöpseln durch die Gassen. Stavanger ist eine Stadt, von der wir beide vorher noch nie etwas gehört haben und wir können entsprechend vorurteilslos drauflosgehen. Wir entdecken eine Stadt, die viel Kultur beherbergt (Streetart, Klassik…), eine Stadt, die multikulturell ist, in der sogar wir mehrere Optionen haben, um essen zu gehen und eine Stadt, in der der norwegische Öl-Boom seinen Start fand.
Einen weiteren tollen Eindruck erhalten wir beim Spazieren durch die wunderschöne Holzhäuseraltstadt.

Etwas Mühe bereitet es uns, herauszufinden wie es am nächsten Tag weiter gehen soll: Die nationale Fahrradroute 1 geht mit der Fähre weiter. Diese Fähre wurde aber Ende 2019 durch einen (weiteren von über 1000) Tunnel ersetzt und sie fährt nicht mehr. Da kann uns nicht einmal die Hausherrin unseres BnB weiterhelfen, die anderen Reisenden die Fahrzeitauskünfte der Busse und Fähren aus dem Kopf gibt. Wir recherchieren und finden ein Schnellboot von Stavanger nach Nedstrand, wo die Route ebenfalls vorbeiführt. Glück gehabt! Andernfalls hätten wir wohl bei einem Buschauffeur „Bittibätti“ machen müssen, dass er uns mit allem was dazugehört mitfahren lässt (die Aussagen darüber, ob Fahrräder im Bus erlaubt sind oder nicht, gehen auseinander…).
Von Nedstrand geht die Route «norwegisch flach» (höchster Punkt 70 M.ü.M. und trotzdem über 700 Höhemeter auf 50 km…) weiter durch schöne Natur mit viel Wald und wenig Verkehr. Am Abend (das Schiff fuhr um 12:30 ab Stavanger und wir hatten 54 km zu fahren) erreichen wir Haugesund, wo wir auf dem Camping «den Stellplatz mit der besten Aussicht auf das Meer» erhalten. (Etwas erstaunt waren wir schon, weil der Campervan vor uns auch schon genau diesen Platz erhalten hat…). Dass das Beste auch seinen Preis hat, merken wir, als der Rezeptionsmensch diesen nennt: wir bezahlen mehr als das dreifache als auf anderen Campings in Norwegen. Aber: Die Aussicht war wirklich gut!

Den nächsten Tag starteten wir mit einer kleinen Challenge: wir haben gut 25 km bis zur Fähre und diese fährt alle 60 Minuten. Weil wir noch nichts zu Essen haben, planen wir die 11:30-Fähre zu erwischen. Weil der Regen uns beim Zeltzusammenbau mal wieder einen Strich durch die Rechnung macht, bleiben uns dafür 1,5 Stunden. Zu Beginn sind wir uns nicht ganz einig, ob überhaupt eine Chance besteht und deshalb öffnet sich zwischen uns bald einmal eine Lücke, bis wir entscheiden, dass es nicht reicht. So fahren wir im Geniesser*innentempo weiter und merken plötzlich, dass es doch noch reichen könnte. Um 11:24 sind wir bei der Fähre und rollen direkt drauf. Und gleich nach der 20-minütigen Überfahrt gibt es eine Einkaufs- und eine tolle Essgelegenheit. Über eindrückliche Brücken fahren wir von Insel zu Insel und landen schliesslich in Leirvik.


Der Campingplatz befindet sich etwas abseits des Zentrums auf einer Art Halbinsel. Um dort hinzukommen, dürfen wir noch einmal eine ultrasteile Strasse hoch und auf der anderen Seite wieder runter fahren. Mit erneut über 1000 Höhenmetern in den Beinen, freuen wir uns nicht besonders über diese abschliessenden und nicht einkalkulierten Steigungsprozente. Dass uns da auch noch eine alte Klapperkiste so kriminell überholen muss, dass der Gegenverkehr abrupt bremsen muss, um eine Frontalkollision zu vermieden oder uns in Gefahr zu bringen, nervt uns noch einmal mehr! Beide TiMonTours tun ihre Stimmung mit eindeutigen Handzeichen (Hand- nicht Fingerzeichen…) kund. Der Klapperkistenfahrer sieht dies und zeigt uns, ebenfalls mit Handzeichen und ähnlich eindeutig, dass er mit unserer Situationsanalyse nicht einverstanden ist. Glücklich, dass ausser Ärger nichts passiert ist und froh über die baldige Ankunft, nehmen wir die letzten Meter unter die Räder. Beim Camping angekommen, treffen wir auf einen sehr kühlen Empfang. Man könnte fast meinen, der Platzwart sei über unsere Ankunft nicht besonders erfreut (was überraschend ist, denn es gibt kaum andere Gäste auf dem Camping und da dürfte er sich eigentlich über die 150 Kronen freuen…). Die Erklärung für den speziellen Empfang steht bei der Rezeption um die Ecke: Auf dem Parkplatz steht DIE Klapperkiste und der Rezeptionist war der Klapperkistenfahrer mit der sich von der unseren unterscheidenden Strassenregelauffassung. Nach der leichten Verunsicherung (wollen wir HIER bleiben?) beginnen wir über die Situation zu lachen und freuen uns bereits auf den Blogeintrag darüber.

Am nächsten Tag wollen wir Bergen erreichen. Das einzige was uns klar ist, ist dass dafür mindestens eine Fährüberfahrt nötig ist. Die restlichen Möglichkeiten gehen aber deutlich auseinander: Kurze Strecke und Agglo umfahren dafür viel bezahlen für das Schnellboot direkt in die Stadt? Sehr flexible Fähre (alle 20 Minuten) und dafür über einen «hohen» (240 m.ü.M.) Berg und durch die Agglo oder gleich den ganzen Weg mit dem Boot zurücklegen? Die letzte Möglichkeit schliessen wir trotz einseitiger Regen- und Höhemetermüdigkeit aus. Wir sagen, wenn es auf die 12:50-Fähre reicht, fahren wir mit dem Schiff von der nächsten Insel direkt bis ins Zentrum. Sollte es aber nicht reichen, warten wir nicht bis am Abend auf das nächste Schiff nach Bergen, sondern nehmen von demselben Ort die flexiblere Fähre. Wir fahren also los und erreichen den Fährhof (sagt man einem Ort, wo viele Fähren fahren analog zum Bahnhof wirklich Fährhof? Wir wissen es nicht, gehen aber davon aus, dass der Leser oder die Leserin dieses Textes, weiss was damit gemeint sein soll… Anm. der Gegenleserin: sie würde diesen Hof eher Hafen nennen…) um 12:44. Kurzfristig entscheiden wir uns, doch die Alle-20-Minuten-Fähre zu nehmen und bis in die Stadt rein zu fahren. Vor lauter Faszination über das Fährtreiben am Fährhof lassen wir eine Fähre ziehen und nehmen die nächste, die ihre 45-minütige Überfahrt sekundengenau beginnt. Wir sind gleich noch einmal beeindruckt und machen uns auf den Weg nach einem Ticketschalter (etwas, das wir bei zwei vorherigen Fähren auch schon erfolglos getan haben…). Wieder finden wir nichts. Weitere 45 Minuten des Schwarzfahreringefühls sind uns dann aber doch zu viel. Wir fragen im Bistro nach. Unser Gesicht, als die Dame dort sagt, es sei gratis, scheint sie aber zu verunsichern und sie fragt beim Captain nach: Ja, Fahrradfahrer sind inklusive ihrer fahrbaren Untersätzen gratis und das auf den meisten Autofähren. Wir finden das eine schlaue Verwendung der (so sagen uns alle) sehr hohen Steuern und kaufen uns zur Feier des Tages einen norwegischen Kaffee (dazu später…) und ein Schoggimuffin.
Der Rest der Etappe ist schneller erzählt als gefahren: Der 240m-Pass fährt sich leichter als erwartet und durch die Agglo von Bergen führt ein perfekter Velohighway (noch mehr schlaue Ideen, wie man sinnvoll mit Steuereinnahmen umgehen kann). Wir erreichen unser Hotel «Citybox» problemlos und checken in das Smarthotel (= der Gast macht vom Check-in über das Frühstück und den Check-out alles selber) ein. Das Problem, dass auf dem ausgedruckten Blatt eine andere Zimmernummer steht als der Check-in-Computer uns mitteilt, lässt sich leicht lösen (der Vor-uns-Check-in-Benutzer hat sein Blatt vergessen und wir haben dieses gefunden). Die Frage, wo wir unsere Fahrräder parken können, kann uns keine Maschine mitteilen, da braucht es Menschen. Tatsächlich finden wir nach kurzer Suche «so jemanden» und werden in den 5. Stock auf die Plattform der Nottreppe geführt. Ein guter Platz für unser Wichtigstes!
Wir fahren unsere Velos über den Teppich direkt vor unsere Zimmertüre, um das Gepäck zu verstauen und anschliessend mit dem Lift in den 5. Stock.
Nach der wohltuenden Dusche machen wir uns auf die Suche nach einem Restaurant. Monika hat auf Tripadvisor vorsondiert und ist auf ein kleines Restaurant mit italienisch-norwegischer Karte gestossen. Wir gehen rein und werden zurückhaltend-freundlich vom Chef de Service empfangen. Wir bestellen bei ihm unsere Getränke, die er gleich selber vorbereitet. Nachdem wir auch das Essen bestellt haben, geht er in die Küche und bereitet auch unser Essen gleich selber zu. Dazwischen plaudert er ein wenig mit uns und freut sich so sehr, dass er mit uns Französisch sprechen kann, dass er uns gleich noch ein (natürlich selbst zubereitetes) Dessert spendiert. Als wir dazu Kaffee bestellen, erklärt er uns entschuldigend, dass er nur norwegischen Kaffee habe und keinen «richtigen». (Wenn wir norwegischen Kaffee nachkochen müssten, würden wir einen dünnen Filterkaffee kochen und diesen dann noch einmal verdünnen… Es lebe unsere Bialetti!). Er erzählt uns, dass er vor über 20 Jahren aus Paris eingewandert ist und nun in Bergen lebt. Als Omage an seine Herkunft und mit Anspielung auf die italienischen Gerichte, heisst sein Restaurant nun «Bella Paris»…
Eine Antwort auf „22. – 25. August – Stavanger – Bergen oder warum man in Norwegen im Paris italienisch essen kann“
Hei TiMon
Spannend eure Berichte – da reise ich gleich ein wenig mit… Es wurde mir zum Ritual euren Blog anfangs Woche zu checken, um zu erfahren, was euch das Radlerleben für neue Abenteuer beschert hat. Ich bin sehr beeindruckt von euren vielen Höhenmeter und dazu noch so lange Distanzen! A propos guten Kaffee, die Nanopresso von Wacaco hatten wir diesen Sommer erstmal mit auf Tour und wir waren sehr beeindruckt von der Qualität!
Ich wünsche euch weiterhin unfallfreie Fahrt mit vielen spannenden Begegnungen in dieser schönen Umgebung!
Liebe Grüsse
Martina