Es hat sich so eingependelt, dass wir in grösseren Städten jeweils einen Pausentag einlegen. So kommt es, dass wir kurz nach Stavanger in Bergen schon wieder zwei Nächte bleiben. Auch von Bergen wissen wir nicht viel mehr, als dass es die (selbsternannte?) «regenreichste Stadt der Welt» ist. Es ist je nach Quelle von 200 bis 257 Regentagen pro Jahr die Rede.
Neben einigen Besorgungen (beim Wasserfilter, den wir in den nächsten Tagen brauchen dürften, haben sich die Dichtungen nach Jahren des Nichtgebrauchs verabschiedet), wollen wir ein wenig Sightseeing betreiben und uns langsam konkrete Gedanken über die Rückkehr in die Schweiz machen. Zu letzterem entscheiden wir, dass wir über den Rallarvegen zurück Richtung Oslo fahren wollen. Dann je nach verbleibender Zeit mit der Fähre direkt ab Oslo nach Kiel oder mit dem Fahrrad weiter nach Göteborg und von da auf dem Wasserweg weiter nach Kiel fahren. Ab Kiel sollte es in zwei Fahrradtagen machbar sein, nach Hamburg zu gelangen, wo uns am 26. September der Nachtzug nach Basel erwartet. Am Sonntag, 27. September gegen Mittag fahren wir mit den Velos in zwei Etappen von Basel in unser neues Zuhause nach Oberlindach. Mehr oder weniger trainierte Mitfahrer*innen sind auf diesen zwei Schlussetappen oder auf einem Teil davon herzlich willkommen! Die Route werden wir noch bekannt geben.
Nun aber zurück zu dem, was wir bereits erlebt haben: Bergen zeigt sich uns am velofreien Tag von seiner besten Seite: Die Sonne scheint vom wolkenlosen Himmel und die bekannten Fotomotive Bergens lassen sich nur all zu gut ablichten.



Wir entscheiden uns, einen Ausflug auf den Fløyen zu machen (in Bern wäre das mit einer Fahrt auf den Hausberg Gurten zu vergleichen…) und essen dort von Wespen umschwärmt zu Mittag.

Der Einkaufstrip ins Sportgeschäft, in dem es von Fahrrädern über Angelausrüstung bis Waffen einfach alles gibt, finden wir auch das Ersatzteil für unseren Wasserfilter. Angesichts der Verpackung ein Teil, nachdem seit Jahrzehnten niemand mehr gesucht hat. Die Gratiskonzerte in der Grieghalle sind leider ausgebucht (schade, Tschaikowsky’s 5. Symphonie hätte mindestens der gerade schreibenden Hälfte von TiMonTour gefallen!) So suchen wir uns ein Restaurant und finden uns vor einer vollbepackten äthiopischen Injera wieder. Afrika in Norwegen, warum nicht!? Am nächsten Morgen fahren wir los. Wir wissen, dass wir am Abend wildcampen müssen (oder dürfen – nicht alle freuen sich gleich darauf) und haben darum für heute kein Tagesziel. Die Route geplant haben wir bis Dale: 75 km und 1770 Höhemeter kündigt Komoot uns an. Wir sind sicher, dass wir das nicht an einem Tag schaffen werden. Dazu kommt, dass es für die Strecke von Trengereid nach Vaksdal keine Veloroute gibt, weil der Autotunnel für Fahrräder gesperrt ist. Wir haben über diese ca. 12 Kilometer lange Zeit recherchiert. Die Quellen sind spärlich. Die offizielle Route hört in Trengereid auf und beginnt in Vaksdal wieder. Für diese Strecke den Zug zu nehmen ist eine Option, auf die wir immer wieder stossen. Ein genialer Kopf betreibt allerdings ein Portal, auf dem sämtliche norwegischen Tunnels aufgelistet sind sowie deren Befahrbarkeit für Fahrräder (verboten, ungeeignet, frei oder nicht dokumentiert). Beim Tunnel, den wir nicht nehmen können/dürfen, finden wir unter Alternativen zum Tunnel folgende Info:

Bevor wir uns aber entscheiden müssen, ob wir uns auf eigenes Risiko ins Abenteuer stürzen oder nicht, müssen wir nach Trengereid kommen. Der Weg führt uns zuerst durch die Agglo von Bergen, an etlichen riesigen Einkaufszentren vorbei und dann auf einer schönen alten Strasse dem Fjord entlang. Bald wird uns klar, dass Komoot für einmal mit den Höhenmetern massiv übertrieben hat (eine prognostizierte Steigung von 21% stellt sich als flacher Abschnitt heraus…). So kommen wir bestens vorwärts und erreichen zur Mittagszeit Trengereid. Wir setzen uns in die Bushaltestelle und verspeisen unseren Lachs, als ein Fahrradfahrer vorbeikommt. Er hält an und wir kommen ins Gespräch. Er sagt uns, dass er die Route durch den alten Eisenbahntunnel nicht kenne, findet aber, wir sollen es doch versuchen. Dann schmeisst er einen grossen, gefüllten Sack in den öffentlichen Abfall. Er meint, er müsse jeden Tag diese Strecke fahren und halte es nicht aus, wie die Leute das wohl schönste Land der Welt so zumüllen können. Deshalb sammle er täglich alles Plastik, das er finde ein und schmeisse es ordentlich weg. Er treffe immer wieder auf Moralapostel, die ihm sagen, es sei wichtig, fünf Portionen Früchte und Gemüse pro Tag zu essen, um gesund zu bleiben. Er sehe das anders: «Pick 5 plastics a day and you start to feel really healthy!». («Sammle 5 Plastik ein pro Tag und du fühlst dich wirklich gesund!») Hut ab vor einer solchen Einstellung! (Gewisse TiMonTour-Elternteile könnten sich an dieser Stelle nun Sorgen über unseren Vitaminhaushalt machen… Wir können beruhigen und versichern, dass wir diese Lebensweisheit ergänzend zu unserem Gemüse- und Früchtekonsum sehen und nicht in Konkurrenz dazu.) Nach diesem spannenden Gespräch fahren wir los. Wir haben uns entschieden, den Versuch zu wagen und uns mit Stirnlampen bewaffnet ins Abenteuer zu stürzen. Nach einem ersten gut zu befahrenden Tunnel, stechen wir auf einen unscheinbaren Weg in den Wald ein und fahren durch hüfthohes Gras Richtung Fjord hinunter. Kurz bevor wir unten sind, ist der Weg ausgewaschen und in den Bach auf der Seite abgebrochen. Gut 20 Meter über Steine und Äste. Zu Fuss kein Problem, aber mit den Fahrrädern und dem ganzen Gepäck?

Tinu geht einmal rekognoszieren, wie es nach der Stelle weitergehen würde. Fazit: bis ca. 15 Meter in den Tunnel rein sollte es kein Problem sein, danach herrscht 1,5 Kilometer Dunkel- und deshalb Ungewissheit.

Wir entscheiden, trotzdem zu gehen und tragen die Fahrräder über Stock und Stein, immer schauend, dass weder Fahrerin noch Gefährt in den Bach abrutschen, zum Tunneleingang.



Dort angekommen werden die Stirnlampen an den Helmen befestigt und wir fahren los. Die Schotter der ehemaligen Bahnstrecke dienen als Fahrunterlage, was das Fahren nicht besonders angenehm macht. So entscheiden wir, die Räder zu schieben. Immer wieder tropft es von oben oder wir müssen tiefere und weniger tiefere Pfützen im Tunnelboden umgehen. Schneller als erwartet sehen wir plötzlich Licht am Ende des Tunnels. Als wir dem Licht immer näher kommen, sehen wir, dass es sich nur um einen Lichtschacht handelt und dass der Weiterweg danach gleich wieder in der Dunkelheit verschwindet. Bevor wir weitergehen bestaunen wir die verrosteten alten Lastwagen, die einfach hier abgestellt wurden.

Nun tauchen wir also wieder in die Dunkelheit… Als nach einer Weile dann noch einmal ein Licht erscheint und näher kommt, sind wir tatsächlich draussen. Das war spannend!

Das Abenteuer ist aber noch nicht zu Ende. Der Weg führt auf dem alten Eisenbahntrassee manchmal durch und manchmal neben alten Tunnels. Manchmal stehen grössere oder kleinere Hürden im Weg, die wir um- oder überfahren müssen und manchmal wird uns beim Blick nach unten zum Fjord mulmig.


Als wir wieder auf der aus dem Autotunnel kommenden Hauptstrasse ankommen, sind wir erleichtert, aber auch froh, das Abenteuer gewagt zu haben.
Der weitere Weg dem Fjord entlang nach Dale führt zu einem grossen Teil der vielbefahrenen Hauptstrasse entlang. Wir sind uns einig, dass wir dies noch so gerne gegen einen Holperweg austauschen würden…
Wir erreichen Dale viel früher als erwartet und fahren – immer nach einem zeltkompatiblen Platz ausschauhaltend – weiter. Die Route biegt bald von der Hauptstrasse ab und wir fahren auf einer verlassenen, wunderschönen Fjordstrasse norwegisch flach weiter. Auf der Karte sieht es so aus, wie wenn es beim Fjordende etwas flacher und somit das Zeltaufbauen möglich sein sollte. Kurz bevor wir das Fjordende erreichen – wir haben gerade TiMonTour’s 3000. Kilometer gefahren – schiesst direkt neben der Strasse ein Wasserfall ins Tal. Direkt daneben gibt es eine Grillstelle mit einem Stück Gras, wo unser Zelt hinpasst. Trotz Wassergetöse (das lässt sich ganz schnell ausblenden…) stellen wir unser Zelt hier auf.


Weil der Wasserhahn, den wir uns vom Campingplatz gewohnt sind, fehlt, pumpen wir Wasserfallwasser durch unseren Wasserfilter, um kochen zu können.

Neben dem Wasserfilterersatzteil haben wir im XXL-Sportgeschäft auch einen neuen Reifen für Tinu’s Fahrrad gekauft. Nicht weil er platt war, sondern weil das Profil komplett durch war (die Reifen haben letztes Jahr bereits über 1500 km Schottland hinter sich gebracht…). So montiert Tinu am Morgen den neuen Reifen, bringt aber mit der kleinen Reisepumpe gerade mal 1.6 Bar hinein. Wer schon einmal längere Strecken mit tiefem Reifendruck gefahren ist, kann sich vorstellen, dass die nächsten Kilometer kein Genuss waren. So halten wir beim ersten Haus an (eine Busgarage) und erhalten den Druckluftschlauch in die Hände gedrückt. Perfekt – denken wir. Busse scheinen konsequent mit 1.8 Bar zu fahren. Mehr gibt die Pumpe nämlich nicht her. Es erwartet uns eine Steigung vom Fjordende (0 m) auf über 700 Meter und Tinu möchte mindestens ein wenig mehr Luft im Reifen. Deshalb halten wir beim nächsten Haus wieder an und gleich fährt ein Auto herbei. Wir fragen den Fahrer in Englisch, ob er eine Pumpe habe und er antwortet auf Deutsch er sei vor vier Jahren aus Deutschland hierhergezogen und die Pumpe hole er gleich. Er fragt, wie wir hierhergekommen seien und als wir es ihm erzählen, meint er, wir seien die zweitverrücktesten Radfahrer von denen er gehört habe. Auf die nicht ganz ernst gemeinte Frage, wie wir denn die verrücktesten werden könnten, meint er, er habe in einer TV-Dokumentation einmal einen Fahrradfahrer gesehen, der durch den Schnee in Sibirien gefahren sei… TiMonTour ist sich einig, dass wir mit diesem – durchaus schmeichelhaften – zweiten Platz ganz gut leben können…
Mit vollen Reifen fahren wir durch schönste Landschaft immer aufwärts.


Als uns ein knalltürkisfarbener (wer noch nie von knalltürkis gehört hat: es gibt die Farbe, wir haben’s gesehen!) Porsche mit Deutschem Kennzeichen überholt, lächeln wir über die ungewohnte Farbe. Bei einem schönen Wasserfall steht der Porsche und die beiden Fahrer stehen davor und fotografieren. Wir halten auch an und kommen ins Gespräch. Die beiden mieten beim Fahrradpumpenausleiher eine Ferienwohnung und sie haben bereits von den zweitverrücktesten Velofahrern gehört. Sie sind beeindruckt und erklären, dass sie zurzeit im Angelsport genügend Herausforderung sehen. Wir fahren von der sympathischen Begegnung erfreut weiter und geniessen die Landschaft. Nach einigen Kilometern treffen wir wieder auf den auffälligen Farbtupfer in der Natur und kurz darauf einerseits auf ein Ortsschild, andererseits auf die beiden bisher erfolglosen Porschefahrer-Angler. Wir kommen erneut ins Gespräch und sie beneiden uns, dass wir unser Zmittag nicht erst fangen müssen. Das Ortsschild «Binningebø» erfreut sie ebenso wie uns, nachdem wir ihnen erklärt haben, dass Tinu’s computeraffine Grossmutter und mit über 80 wohl die älteste Blog-Leserin, in Binningen wohnt. (Wir freuen uns nach fast jedem Blogeintrag über einen Whatsapp-Gruss aus dem Baselbiet. An dieser Stelle: Ganz liebe Grüsse aus Norwegen, Grossmami!) Kurzerhand bieten uns die Porschefahrer an, ein Bild mit uns und dem Ortsschild zu machen.

Nach einer Diskussion, ob eine Tour wie unsere in ihrem Alter (20 Jahre älter) möglich wäre (sie finden Nein, weil ihnen in unserem Alter noch nichts weh getan hätte), fahren wir weiter. Als wir Mittagspause machen überholen sie uns wieder und wenig später wir sie noch ein letztes Mal. Welch ein freundlicher Austausch! Und wir geben zu, dass wir mit dieser Begegnung unsere Vorurteile gegenüber Porschefahrern ziemlich deutlich vor Augen gehalten bekamen.
Wir fahren weiter den Berg hoch und erreichen die Passhöhe. Welch traumhafte Landschaft!
Nach etwas Fotoshooting nehmen wir die Abfahrt unter die Räder.



Kurz bevor wir wieder am Fjord sind, erreichen wir den Camping in Evanger. Eigentlich wollten wir bis Voss durchziehen, aber der Camping gefällt uns so gut, dass wir kurzfristig entscheiden, dort zu bleiben. Wir werden die Entscheidung nicht bereuen. Denn wieder einmal durften wir eine spannende und inspirierende Begegnung erleben…
So steigen wir vom Fahrrad. Die über 1000 Höhenmeter spüren wir in jedem Muskel, was uns schmunzelnd an die Porschefahrer denken lässt…
2 Antworten auf „26. – 28. August – Bergen – Evanger oder warum Plastik gesünder ist als Gemüse“
Wenn dir gägenüber em Ahängerfabrikant wettet Garantieasprüch gäutend mache, dörftet dir ihm aber die Bilder niemals zeige, obwohl ja der zwöit Defekt wenn is richtig checket ha, vor der Tunnustrecki passiert isch
Ja, dr zwöit Defekt usch vorem Tunnel gsi.. Dr dritt irgendwo dert ume. Jetz isch dr Ahänger aber wider mau gschweisst und häbt (hoffentlech…). Me drzue de im nöchste Blogitrag.