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Norwegen

01.09. – 02.09. – Voss – Rallarvegen – Geilo oder wenn ein Ortsname der Etappe den Stempel aufdrückt

Rallarvegen
Im März 1894 beschloss das norwegische Parlament Storting, dass eine Eisenbahnverbindung zwischen Christiania (dem heutigen Oslo) und Bergen gebaut werden solle.
Da die Bahn über die damals weglose Hochfläche der Hardangervidda führen sollte, musste zuerst ein Weg gebaut werden, über den der Transport von Menschen und Material zu den Baustellen möglich war. Dazu wurde der Rallarvegen von den drei Orten Voss, Flåm und Geilo gebaut, der parallel zur danach fertiggestellten Bahntrasse errichtet wurde. Der Begriff setzt sich zusammen aus den Worten “Rallar” (Bahnarbeiter) und “Veien” (der Weg).
Nach der Eröffnung der Bergenbahn 1909 blieb der Weg bestehen und wurde bis zur Inbetriebnahme der Flåmsbana 1940 von Reisenden als Zugang vom Sognefjord zur Bergenbahn (Bahnhof Myrdal) genutzt.
Er wird heute als Rad- und Wanderweg genutzt.
(Quelle: Wikipedia)

Nachdem all unser Material wieder fahrbereit ist und uns der nationale Wetterdienst ein Schönwetterfenster von zwei Tagen verspricht, fahren wir am Dienstagmorgen in Voss los. Wir wissen, dass uns heute ein happiges Stück Arbeit erwartet: Der Aufstieg von Voss (ca. 50 M.ü.M.) nach Uppsete (ca. 840 M.ü.M.) mit einigen kürzeren oder längeren Abfahrten dazwischen dürfte ganz schön anstrengend werden. Es ergeben sich gemäss Komoot ca. 1100 Höhenmeter auf 44 km. Und dazu kommt, dass Uppsete eine Sackgasse ist. Von dort führt nur ein Zug 5 Minuten durch einen Tunnel nach Myrdal. Und dieser Zug fährt genau zweimal täglich: einmal zwischen 10 und 11 Uhr und einmal um 15:30 Uhr. Wenn wir den zweiten verpassen, müssen wir wohl oder übel in Uppsete übernachten und hätten am Mittwoch Stress, damit es uns am Donnerstag nicht einschneit.
So beginnen wir mit dem Aufstieg. Es fährt sich leicht und wir geniessen die schöne Natur und dass es – Sackgasse sei Dank – kaum Verkehr hat. Kaum Verkehr! Denn wie aus dem Nichts überholt uns ein Kleinbus mit Anhänger. Aus dem vorderen Fenster hängt jemand raus und ruft: „We know you, guys!“ Auf dem Anhänger sind die Raftingboote befestigt und der aus dem Fenster hängende, rufende Mensch war unser spanischer Raftingguide Danny! Schön euch noch einmal wiedergesehen zu haben! „Have Fun!“ rufen wir uns gegenseitig zu und fahren mit einem Lächeln weiter. Bald sehen wir die ersten Schneeberge. Schneeberg bedeutet hier ca. 1200 Meter über Meer. Mit grosser Vorfreude („Morgen sind wir auch dort oben!“) fahren wir weiter.

Einige Kilometer vor Uppsete wird die Teer- zur Schotterstrasse. Wir wissen da noch nicht, dass wir den Schotter bis am nächsten Abend nicht mehr gegen Teer austauschen werden und dass die mit Steinen und Absätzen gespickte „Fahr“bahn und noch fordern wird. Trotzdem kommen wir gut voran. Bei ca. 700 M.ü.M. überschreiten wir – uns immer vor Trollen in Acht nehmend – die Waldgrenze und die Landschaft wird offener und kahler (aber nicht weniger schön!).

Achtung Troll! Ob sie gefährlich wären, wissen wir nicht…

Kurz vor dem Bahnhof Uppsete geht es auf einmal nicht mehr weiter, der Weg ist von unbeeindruckt wiederkäuenden Schafen versperrt:

Doch auch die treten beim Anblick des Anhängerungeheuers müde zur Seite und so können wir durch das Weidegitter zum Bahnhof fahren. Es ist 14:50 Uhr, also ideal, um den Zug zu erwischen!
In einem Blog haben wir gelesen, dass „dem Lokführer mit deutlichen Handzeichen anzuzeigen ist, dass man einsteigen möchte“. So kaspert Tinu auf dem Perron herum, als der Zug in Sichtweite ist und tatsächlich hält er an. Wir steigen ein (fast ebenerdig, gar nicht schlecht für einen Bahnhof irgendwo im Nirgendwo!) und lösen beim Zugbegleiter die Tickets: 86 Kronen für die Menschen, 120 für die Fahrräder… (Der Einfachheit halber rechnen wir jeweils durch 10. Es waren also gut 20 Franken…). Wahrscheinlich wäre es günstiger gekommen, wenn wir die Fahrräder auf einen Sitz gehievt hätten… Die 5 Minuten Tunnel sind schnell durch und wir sind in Myrdal. Die Flåmsbahn lassen wir links liegen (wir haben uns kurz überlegt nach Flåm runter zu fahren und mit dem Zug wieder hoch. Diese Projekt haben wir aber in Anbetracht der hohen Kosten rasch ad acta gelegt. (auch hier ist der Umrechnungskurs einfach: 5 Minuten Tunnel kosten 20 Franken, 40 Minuten Flåmsbahn kosten noch viel mehr zu viel…)). So fahren wir zuerst steil den Schotter runter und schieben auf der anderen Seite wieder hoch zum Berghotel, das wir ebenfalls links liegen lassen. Von da geht es wieder im Sattel zu zwei schönen Seen. Nach dem Kartenstudium sollte es am Ende des zweiten Sees eine zum Zelten geeignete Fläche geben. Tatsächlich sieht es perfekt aus. Etwas verunsichert über ein norwegisches Plakat an einem Zaun (der Handyübersetzer benötigt Internetverbindung und die gibt es hier nicht…), fragen wir bei einem vorbeikommenden Quadfahrer nach, ob wir hier zelten dürfen. Er nickt und fährt weiter. Topp, wir haben einen perfekten Platz gefunden! Nun noch durch das Tor und dann ein schönes Plätzchen suchen, das noch etwas an der Sonne ist. Gesagt getan folgen wir dem Weg in ein lichtes Wäldchen und biegen dann auf einen schmalen Pfad ab. Da gibt es eine perfekte Fläche für unser Zelt. Wir steigen ab und wollen gerade mit dem Abladen beginnen da tönt es aus der Ferne. Was ist das? Plötzlich kommt eine ganze Herde Kühe (jung und alt, Stier und Kuh) gerade auf uns zu gerannt. Sie stoppen kurz vor uns und ein Teil der Tiere umrundet uns mit etwas Distanz. Super, jetzt sind wir von Kühen umzingelt! Ein junger Stier interessiert sich für Tinus Velo und schnüffelt am Vorderrad. Es scheint aber nicht spannend genug, um zu bleiben. So zieht die Gruppe weiter. Uff! Zum Übernachten brauchen wir aber wohl einen anderen Ort… Wir könnten zurückfahren, wo wir am See den einen oder anderen Platz gesehen haben, allerdings müssten wir bereits im Schatten kochen. Oder wir fahren auf gut Glück weiter, obwohl es ab hier steil wird, was gute Stellplätze normalerweise rar macht. Wir entscheiden uns fürs Weiterfahren und nehmen die nächste Steigung in Angriff. Als wir oben sind, rauscht ein Bach direkt am Weg vorbei und etwas weiter vorne gibt es eine perfekte Fläche für unser Zelt. Was für ein Traumplatz! Wir danken heimlich den Kühen und stellen unser Zelt auf. Nach einem eiskalten Bad im Fluss sind wir sauber und geniessen bei Pasta mit Tomatensauce das wunderschöne Abendlicht. Gegen die Mücken gibt es (im Gegensatz zu Kühen) einen guten Spray und so bleiben uns auch diese fern.
Wir haben den wohl schönsten Platz unserer Reise gefunden! Wow!

Am nächsten Morgen nach einer (dank guter Ausrüstung nur ausserhalb der Schlafsäcke) kalten Nacht und einem Bergkaffee aus der Bialetti machen wir uns auf den Weg zur Königsetappe unserer Tour. (Das mag gemessen an der Höhe nicht ganz stimmen – Albula- und Pragelpass waren höher – aber im Rückblick kann nur diese die Königsetappe sein!)

Bialetti-Romantik

Für das nun folgende Worte zu finden, ist nicht ganz einfach. Deshalb lassen wir die Bilder für uns sprechen und ergänzen das eine oder andere zu den Bildern:

Im Aufstieg, kurz nach unserem Schlafplatz
Schnee! Erst mal nur neben dem Weg…
…dann auf dem Weg…
…und dann statt Weg!
Bald sind wir oben!
Sie habens ohne Defekt geschafft! Höchster Punkt des Rallarvegen: 1345 m.ü.M. …
…Wir auch!
Ab“fahrt“ nach dem höchsten Punkt
Obelix hätte seine Freude… (nicht nur er!)
Einfach nur schön!

Ab Finse stossen wir immer mehr auf Zivilisation und fahren – immer noch auf Schotter – weiter Richtung Haugastøl. Der Wind plagt uns meist von vorne und wir spüren die Höhenmeter und den anstrengenden Weg in den Beinen. In Haugastøl gibt es ein Hotel und wir sind schon auf dem Weg zur Rezeption als wir uns kurzfristig entscheiden, die 20 km bis Geilo doch noch zu fahren, was unserer Etappe – mindestens umgangssprachlich gesehen – den idealen Endpunkt geben würde. Es folgen 10 anstrengende, norwegisch flache Kilometer der viel befahrenen Hauptstrasse entlang, bevor es auf 10 abschliessenden Kilometern über 300 Meter nach unten geht. Weil es schon dämmert, setzen wir für letzteres unsere Leuchtwesten und geniessen die schöne Abfahrt. In Geilo angekommen – es ist mittlerweile 19:00 Uhr – finden wir ein kleines unscheinbares Restaurant. Die Burger sind eine positive Überraschung und die Bierberatung ist grandios! Wir sind begeistert!
Nach dem Essen kaufen wir uns etwas zum Frühstück (die Ladenöffungszeiten in Norwegen haben uns schon das eine oder andere Mal zum Denken angeregt: Kaum ein Geschäft schliesst vor 21:00, viele erst um 23:00 Uhr) und fahren zum Camping bei dem wir uns vorher schon über die Öffnungszeiten (Check-in rund um die Uhr, Rezeption bis 22:00) erkundigt haben. Unglaublich müde aber ebenso zufrieden nehmen wir eine Dusche und sind kaum im Schlafsack bereits eingeschlafen.
Diese zwei Tage gehören zum schönsten und eindrücklichsten, was wir erlebt haben!
P.S. Das Plakat am Weidetor haben wir später noch übersetzt. Es heisst: «Weidende Rinder. Bitte in Ruhe lassen!»

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